Die Wirtschafts- und Marktbeherrscher und die beflissenen Regierungen, Politiker, Juristen und Journalisten wissen schon, warum sie die Bevölkerung nicht über die Gestaltung der Europäischen Union abstimmen lassen. Vor drei Jahren lehnten die Franzosen und Niederländer die vorgeschlagene Europa-Verfassung abgelehnt, jetzt sagten die Iren Nein zu dem leicht geänderten "Reformwerk von Lissabon". Die Bewohner der anderen 24 EU-Staaten sollen nicht gefragt werden.
Auch hier würde die Mehrheit Nein sagen - nicht etwa, weil Europa unbeliebt wäre. Ein soziales, gerechtes, einheitliches Europa, ein Kontinent des Friedens war seit Generationen die Vision der Dichter, der Traum der Völker. Stattdessen entsteht aber ein Europa der Ausbeutung, der fast uneingeschränkten wirtschaftlichen und politischen Macht des Kapitals, das sich scheinbar unaufhaltsam ausdehnt. Das Kapital nutzt jede Möglichkeit, die sogenannte marktwirtschaftliche Ordnung festzuschreiben und ihr Verfassungsrang zu verleihen. Diesem Zweck dienen auch manche Entscheidungen und Grundsatzurteile, die jüngst gefällt wurden. So hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) kürzlich die unternehmerischen und wirtschaftlichen Freiheiten über die sozialen Rechte gestellt, den sogenannten freien Handel über den sozialen Schutz, den Profit über die Menschenwürde. EuGH, Europäische Kommission, Europäischer Ministerrat, Europas führende Politiker haben ein Europa der Kälte geschaffen.
Das zeigt sich beispielhaft im Arbeitsrecht. So dürfen Staaten bei der Vergabe öffentlicher Aufträge nicht mehr auf Einhaltung des bei ihnen geltenden Tarifrechts bestehen, wenn ein ausländisches Unternehmen seinen Arbeitern weniger zahlt. Daß vor noch nicht langer Zeit das deutsche Bundesverfassungsgericht in einem Grundsatzurteil von allen, die für einen öffentlichen Auftraggeber arbeiten, Tariftreue verlangt hatte, interessierte die EU-Richter nicht. Denn für diese eifrigen Marktwirtschaftler ist "Dienstleistungsfreiheit" wichtiger als gerechte Entlohnung. Und darum dürfen Gewerkschaften nicht dafür streiken, daß ausländische Kollegen den ortsüblichen Tariflohn erhalten. Das "Niederlassungsrecht" der Unternehmen, das heißt ihr Recht, in anderen Staaten Filialen oder Zweigwerke zu gründen, ist nach diesem Urteil höher zu bewerten als das Streikrecht der Einheimischen gegen solche Dumpingfirmen. Im gleichen Sinne hat sich die EU-Kommission - der neoliberalen Weltanschauung verpflichtet - bei fast allen wichtigen Entscheidungen auf die Seite der Milliardäre gegen die Arbeitnehmer gestellt.
Das gilt auch für die Regierungen. So einigten sich im Juni die Arbeitsminister der EU-Staaten über die Regelung der Arbeitszeit und Teilzeitarbeit. Obwohl das Ergebnis zum großen Teil schlechter ist als das noch gültige deutsche Arbeitsrecht, sagte Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD): "Die Richtlinien gewähren ein europaweites Schutzniveau, das auch für uns akzeptabel ist." Sie sehen unter anderem vor, daß unter bestimmten Umständen eine Wochenarbeitszeit bis zu 78 Stunden möglich ist. Die vereinbarten "Mindeststandards" für Leiharbeiter sind unverbindlich und können in jedem Staat weiter abgesenkt werden. In der BRD wird es wieder möglich sein, daß in Krankenhäusern Patienten von Ärzten behandelt werden, die seit 70 Stunden nicht mehr im Bett gewesen sind. Rufbereitschaft wird nicht als Arbeitszeit gerechnet und bezahlt. Trotz solcher Verschlechterungen jubelte EU-Sozialkommissar Vladimir Slidla bei der Vorstellung der Richtlinien: "Wir haben dem sozialen Europa neuen Schwung verliehen." Sozial ist für die EU-Kommission und ihre Unterstützer, was dem Profit einer kleinen Minderheit dient. Nach dieser ungeschriebenen Devise regeln sie alles und jedes, mag es auch noch so grotesk sein. Ein Beispiel: Die UEFA will, daß europäische Fußballvereine künftig bei Liga-Spielen mindestens sechs inländische Spieler aufstellen sollen. Als das bekannt wurde, jaulten die EU-Kommissare auf: Das sei ein Anschlag auf die freie Marktwirtschaft, auf die freie Wahl des Arbeitsplatzes und so weiter. Deshalb werde man es verbieten. Denn man müsse den Anfängen wehren Â…
Und konsequent arbeiten unsere imperialistischen Marktwirtschaftler an der Militarisierung Europas, nachdem schon der Verfassungsentwurf von 2005 ein "Aufrüstungsgebot" enthalten und im Voraus weltweite Interventionen gebilligt hatte.
Gleich am Tage nach dem Votum der Iren bekräftigten die Autoren der gescheiterten ersten beiden Versuche, daß sie ihre Pläne selbstverständlich weiter verfolgen werden. Aber warum erarbeiten jetzt nicht attac, Gewerkschaften, Bürgerrechtsorganisationen, Friedens- und Umweltbewegungen einen Entwurf für die Europäische Verfassung und stellen ihn in allen Ländern zur Abstimmung? Wer ergreift die Initiative?
27 Juni,2008
Das zeigt sich beispielhaft im Arbeitsrecht. So dürfen Staaten bei der Vergabe öffentlicher Aufträge nicht mehr auf Einhaltung des bei ihnen geltenden Tarifrechts bestehen, wenn ein ausländisches Unternehmen seinen Arbeitern weniger zahlt. Daß vor noch nicht langer Zeit das deutsche Bundesverfassungsgericht in einem Grundsatzurteil von allen, die für einen öffentlichen Auftraggeber arbeiten, Tariftreue verlangt hatte, interessierte die EU-Richter nicht. Denn für diese eifrigen Marktwirtschaftler ist "Dienstleistungsfreiheit" wichtiger als gerechte Entlohnung. Und darum dürfen Gewerkschaften nicht dafür streiken, daß ausländische Kollegen den ortsüblichen Tariflohn erhalten. Das "Niederlassungsrecht" der Unternehmen, das heißt ihr Recht, in anderen Staaten Filialen oder Zweigwerke zu gründen, ist nach diesem Urteil höher zu bewerten als das Streikrecht der Einheimischen gegen solche Dumpingfirmen. Im gleichen Sinne hat sich die EU-Kommission - der neoliberalen Weltanschauung verpflichtet - bei fast allen wichtigen Entscheidungen auf die Seite der Milliardäre gegen die Arbeitnehmer gestellt.
Das gilt auch für die Regierungen. So einigten sich im Juni die Arbeitsminister der EU-Staaten über die Regelung der Arbeitszeit und Teilzeitarbeit. Obwohl das Ergebnis zum großen Teil schlechter ist als das noch gültige deutsche Arbeitsrecht, sagte Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD): "Die Richtlinien gewähren ein europaweites Schutzniveau, das auch für uns akzeptabel ist." Sie sehen unter anderem vor, daß unter bestimmten Umständen eine Wochenarbeitszeit bis zu 78 Stunden möglich ist. Die vereinbarten "Mindeststandards" für Leiharbeiter sind unverbindlich und können in jedem Staat weiter abgesenkt werden. In der BRD wird es wieder möglich sein, daß in Krankenhäusern Patienten von Ärzten behandelt werden, die seit 70 Stunden nicht mehr im Bett gewesen sind. Rufbereitschaft wird nicht als Arbeitszeit gerechnet und bezahlt. Trotz solcher Verschlechterungen jubelte EU-Sozialkommissar Vladimir Slidla bei der Vorstellung der Richtlinien: "Wir haben dem sozialen Europa neuen Schwung verliehen." Sozial ist für die EU-Kommission und ihre Unterstützer, was dem Profit einer kleinen Minderheit dient. Nach dieser ungeschriebenen Devise regeln sie alles und jedes, mag es auch noch so grotesk sein. Ein Beispiel: Die UEFA will, daß europäische Fußballvereine künftig bei Liga-Spielen mindestens sechs inländische Spieler aufstellen sollen. Als das bekannt wurde, jaulten die EU-Kommissare auf: Das sei ein Anschlag auf die freie Marktwirtschaft, auf die freie Wahl des Arbeitsplatzes und so weiter. Deshalb werde man es verbieten. Denn man müsse den Anfängen wehren Â…
Und konsequent arbeiten unsere imperialistischen Marktwirtschaftler an der Militarisierung Europas, nachdem schon der Verfassungsentwurf von 2005 ein "Aufrüstungsgebot" enthalten und im Voraus weltweite Interventionen gebilligt hatte.
Gleich am Tage nach dem Votum der Iren bekräftigten die Autoren der gescheiterten ersten beiden Versuche, daß sie ihre Pläne selbstverständlich weiter verfolgen werden. Aber warum erarbeiten jetzt nicht attac, Gewerkschaften, Bürgerrechtsorganisationen, Friedens- und Umweltbewegungen einen Entwurf für die Europäische Verfassung und stellen ihn in allen Ländern zur Abstimmung? Wer ergreift die Initiative?
27 Juni,2008
Quelle: Zweiwochenschrift „Ossietzky”, www.sopos.org/ossietzky